
HANDELSBLATT INSIGHT INNOVATION / Handelsblatt print: Heft 161/2022 vom 22.08.2022, S. 24 / Unternehmen
Nachhaltige Verpackungen
Wie die Plastikflut verschwinden kann

Die Konsumbranche steht unter Druck: Verbraucher wollen weniger Plastik, und der Staat droht mit einer Plastiksteuer. Doch die Einführung innovativer Kunststoffe ist schwer.
Tahsin Dag vergleicht sich gern mit Elon Musk, seine Fabrik nennt er gar "Gigafactory". Nur, dass er dort Joghurtbecher herstellt und keine Elektroautos. Der 39-Jährige brennt vor Ehrgeiz, will mit seiner Firma Papacks eine etablierte Branche verändern: die Verpackungs- und Lebensmittelindustrie.
Was das heißt, kann man sich in einer Halle im Kölner Industriegebiet ansehen. Dort forscht die Firma an nachhaltigen Verpackungen. Ein Mitarbeiter arbeitet an einem Tisch an den Prototypen eines neuen Produkts: eine Flasche mit Drehverschluss – komplett aus natürlichen Inhaltsstoffen, komplett kompostierbar. Der Kunde ist der US-amerikanische Getränkeriese Keurig Dr. Pepper.
Angefangen hat alles in einer Kölner Garage. Mittlerweile ist sein Unternehmen Papacks stark gewachsen. „Wir haben eine völlig neue Industrie geschaffen“, sagt Dag.

Das Plastik-Problem als neue Geschäftschance
Seine Kunden sind etablierte Konzerne wie Parfümhersteller Coty, Kaffeeriese Melitta oder die Schokoladenfirma Tony’s Chocolonely. In Thüringen laufen in der „Gigafactory 1“ von Papacks bis zu 180 Millionen Fasergussteile pro Jahr über die modernen Produktionsstraßen. Eine „Gigafactory 2“ nebenan wird im kommenden Jahr fertiggestellt. Immerhin 3,5 Millionen Kilo Plastik hat Papacks laut Firmenangabe dadurch eingespart.
Und das ist nur ein Bruchteil des Verpackungsmarktes: 2021 wurden allein in Deutschland rund 15,8 Milliarden Euro mit Kunststoffverpackungen umgesetzt. Ein Großteil davon wird von der Lebensmittelindustrie verwendet: dünne Plastikfolien, Wurst- und Käseverpackungen, Schalen für Obst und Gemüse.
Nachhaltige Verpackungen: Das Plastik-Problem als Geschäftschance
Für die Kunden wird eine nachhaltige Verpackung dagegen immer wichtiger: Rund 70 Prozent der Verbraucher achten beim Kauf von Produkten auf die umweltfreundliche Hülle, zeigt eine Umfrage des Deutschen Verpackungsinstituts aus dem Jahr 2019. Knapp 20 Prozent verzichten sogar ganz darauf, Produkte ohne nachhaltige Verpackungen zu kaufen.
Denn Plastik ist zu einem weltweiten Problem geworden. Jährlich gelangen rund zehn Millionen Tonnen Plastikmüll in die Meere, hat die Deutsche Umwelthilfe errechnet. Für die Herstellung werden Erdöl und Erdgas benötigt. Fossile Brennstoffe, die in Zeiten des Klimawandels ersetzt werden müssen.
2019 wurden nur 14 Prozent des gesamten Plastikmülls weltweit recycelt, belegen Daten der Heinrich-Böll-Stiftung. Selbst in Deutschland mit seinem hochorganisierten Recyclingsystem werden laut dem Umweltbundesamt nur 46 Prozent der Kunststoffabfälle wiederverwertet – der Rest wird verbrannt.
So verwundert es nicht, dass große Lebensmittel- und Konsumgüterhersteller sich mit kompostierbaren Verpackungen beschäftigen und mit verschiedensten Unternehmen an Prototypen arbeiten. Doch obwohl Start-ups und Konzerne an Verpackungen aus Hanf, Zellulose und Mais forschen und diese teilweise auch schon zur Marktreife gebracht haben, sind sie bislang nur selten in den Regalen zu finden. „Bislang spielen kompostierbare Verpackungen eine untergeordnete Rolle“, sagt Carl Dominik Klepper, Vorstandsvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Verpackung und Umwelt, einem Verband von Lebensmittelherstellern und Recyclingindustrie.
„Alle Hersteller beschäftigten sich mit nachhaltigen Verpackungen und sind technologieoffen“, sagt der Branchenexperte. Der Trend gehe aber zum Recycling von Rohstoffen. Verpackungen aus Biokunststoffen machen laut den Daten des Verbandes European Bioplastics erst rund ein Prozent aller Kunststoffverpackungen aus.
Hersteller wie Dr. Oetker, Unilever oder Coty kalkulieren hart. Im Zentrum steht die Frage: Welcher Platz im Regal lässt sich zu welchen Kosten sichern? Produkte mit einem nachhaltigen Siegel verkaufen sich besser und werden von Supermärkten oder Kaufhäusern mit mehr Fläche in besserer Lage ausgestellt.
Zu viel Geld darf das jedoch nicht kosten. Der Lebensmitteleinzelhandel ist beispielsweise ein hart umkämpfter Markt, Discounter wie Aldi, Lidl oder Penny machen den angestammten Supermärkten das Leben schwer. Bei der Kostenkalkulation zählt darum jede Nachkommastelle, teure Verpackungen haben da keine Chance.
Gerade Lebensmittel sind eine besondere Herausforderung für die Hersteller: Die Margen sind dünn, die Qualitätsansprüche hoch.
„Lebensmittelverpackungen sind die Königsklasse der Verpackungen“, sagt Hannes Füting, Marketingchef von Repaq aus dem norddeutschen Börnsen. Ob Wurst, Käse, Tiefkühlkost oder frisches Obst und Gemüse: Die meisten Produkte sind mit Plastik verpackt.
Es gibt zwar längst kompostierbare Folien, doch die verwenden vor allem kleine Firmen wie der Schokoriegel-Hersteller „The Nu Company“. „Innovationen haben es sehr schwer, sich durchzusetzen“, sagt Carolina Schweig, Verpackungsingenieurin und Expertin für nachhaltige Verpackungen.
Repaq setzt auf Zellulosefolien. Das Unternehmen bietet einen Baukasten für die Lebensmittelhersteller an. „Wir stellen für jeden Kunden nach seinen Wünschen und Anforderungen eine passende Folie zusammen“, erklärt Füting das Prinzip. Die Zellulosefolie kann individuell bedruckt werden, unterschiedlich dick oder beschichtet sein, je nach Anforderungen. Repaq lässt die Folie individuell bei Partnern europaweit produzieren und die Kunden können sie anschließend auf den existierenden Verpackungsmaschinen verwenden.
Über konkrete Preise oder Kostenanteile redet man in der Branche nicht: Geschäftsgeheimnis. Das gilt auch für die neuen Anbieter: „Wir sind wettbewerbsfähig“, gibt beispielsweise Papacks-CEO Dag ausweichend Auskunft.

Plastiksteuer könnte nachhaltige Verpackungen beflügeln
Eine Entscheidung der Europäischen Union (EU) könnte der jungen Branche zu einem Aufschwung verhelfen. Seit Januar 2021 müssen die EU-Mitgliedstaaten eine monatliche Plastikabgabe zahlen. Für jedes Kilogramm nicht recycelter Verpackungsabfälle aus Kunststoff fallen 80 Cent an. Bislang zahlt Deutschland die Abgabe aus Steuermitteln. Für das vergangene Jahr summierte sie sich nach Schätzungen auf 1,3 Milliarden Euro.
Im Koalitionsvertrag haben SPD, FDP und die Grünen allerdings beschlossen, die Kosten auf die Hersteller und die Verpackungsindustrie umzulegen. Wie genau die Umsetzung aussieht, ist bislang nicht geklärt. Dennoch werden die Verpackungskosten für die Lebensmittel- und Konsumgüterindustrie durch die Abgabe steigen. Sie könnte daher durchaus ein Anreiz sein, in kompostierbare, plastikfreie Verpackungen zu investieren.
Auch bei kompostierbaren Verpackungen leidet die Klimabilanz
Hinzu kommt, dass die Klimabilanz der vermeintlich umweltfreundlicheren Verpackungen nicht immer besser ausfällt. Zwar geht nach der Kompostierung nur das CO2 , das die Pflanze beim Wachstum aufgenommen hat, wieder zurück in die Atmosphäre. Aber der Anbau ist oft ressourcenintensiv, verbraucht Wasser und Düngemittel. „Es ist nicht sinnvoll, Landwirtschaftsflächen für die Aufzucht von Rohstoffen für Verpackungen zu nutzen“, sagt Schweig. Damit könne eine Konkurrenz zur Lebensmittelproduktion entstehen. Nachhaltiger seien Verpackungen aus biologischen Abfällen.
Was bei der Produktion von Verpackungen aus Abfällen möglich ist, zeigt Ronald Goldbach, Geschäftsführer des Lübecker Start-ups Plant Pack. In Zusammenarbeit mit der Universität Göttingen hat sein Unternehmen ein Verfahren entwickelt, um Maisgrieß zu verarbeiten. Die kleinen hellgelben Körner fallen bei der Maisverarbeitung eines Schwesterunternehmens an und sind nicht geeignet für die weitere Lebensmittelproduktion. Plant Pack macht daraus nun Verpackungen.
„Wir sind die Alternative zu Styropor“, sagt Goldbach. Die Lübecker erwärmen und puffen den Maisgrieß und pressen ihn anschließend in Formen. Das Ergebnis sind stabile und leichte Verpackungen – ähnlich stoßfest und wärmeisolierend wie Styropor.
Das Anwendungspotenzial ist riesig: Transportverpackungen und Produktschutz für Waschmaschinen, für Möbel, aber auch für temperatursensible Medikamente, Lebensmittel und Tiernahrung sind möglich, genauso wie Produktinlays für Laptops oder Weinflaschen. Plant Pack will Ende des Jahres mit der Prototypproduktion starten. „Das Interesse ist groß“, sagt Goldbach. Zurzeit laufe die Zertifizierung als industriell und heim- und gartenkompostierbares Produkt.
Viele Hersteller werben mit der Kompostierbarkeit. Doch steckt da der Teufel im Detail: Selbst wenn diese Eigenschaft nach DIN-Norm zertifiziert ist, darf die Verpackung vielerorts nicht in die Biomülltonne oder in den Garten geworfen werden.
Das Umweltbundesamt unterscheidet zwischen industriell kompostierbar und heim- und gartenkompostierbar. Denn in den Großkompostierungsanlagen werden Temperaturen von über 60 Grad Celsius erreicht – im Garten ist das nicht möglich. Daher können auch nicht alle Produkte dort kompostiert werden.
Viele Kommunen und Städte verbieten aber auch die Entsorgung von biologisch abbaubaren Kunststoffen im Biomüll. Der Grund: Sie haben eine längere Kompostierzeit als Obst- und Gemüsereste. „Die Biokunststoffe stören die Stoffströme“, sagt Kim Cheng, Geschäftsführerin vom Deutschen Verpackungsinstitut. Sie würden deshalb aussortiert und verbrannt. „Ein Recycling ist noch nicht wirtschaftlich“, ergänzt Norbert Völl, Sprecher des Grünen Punktes, einem Anbieter von Rücknahmesystemen. Dafür müssten die Mengen deutlich steigen. „Konsumenten wollen Lösungen und keine Aufgaben haben“, kritisiert Cheng.
Aus Hanf oder Papier werden nachhaltige Verpackungen
Eine einfache Lösung möchte auch Papacks-Chef Dag bieten. Seine Produkte sind nicht nur kompostierbar, sondern recycelbar – im Papierkreislauf. Während Eierkartons aus Altpapier bestehen, setzt Dag neue Zellulose- oder Hanffasern ein. Grundlage der Verpackungen ist ein sogenannter Faserguss: eine Mischung aus Papierfasern und Wasser. Seit neun Jahren forscht Dag an dem Verfahren.
In seinen Fabriken füllt die Masse aus Wasser und Fasern mehrere Becken. In sie werden individuell angefertigte Formen gedrückt, das Wasser-Faser-Gemisch wird angesaugt. Die Verpackungen werden anschließend getrocknet und falls nötig beschichtet. „Wir wollen Forschung in Massenproduktion wandeln“, sagt Dag. Adventskalender, Transportverpackungen, Lebensmittel- oder Homecare-Produkte gehören zum Sortiment.

Papacks-Verpackungen sollen künftig aber nicht nur in den Altpapierkreislauf entsorgt werden, sondern gleich am besten wiederverwendet werden. In einer Fallstudie mit Coty hat Papacks einen Kreislauf für Transportverpackungen untersucht. Der Lieferant bekommt die Fasergussverpackungen zur Verfügung gestellt, Coty schreddert diese nach der Anlieferung. Die Reste werden in einem Faserdepot gesammelt und dann wieder in die Produktion gebracht. „Das sind hochwertige Fasern, die immer wieder verwendet werden können“, erklärt Dag seinen Ansatz.
Bislang gibt es kaum recyclingfähige Biokunststoffe. Dabei wäre das der bessere Ansatz, als biologisch abbaubare Einwegprodukte zu produzieren, meint Verpackungsexpertin Schweig. „Wenn nachhaltige Verpackungen eine zusätzliche Funktionalität erfüllen oder recyclingfähig sind, machen sie auch finanziell Sinn“, sagt Schweig. Dann könnten aus innovativen Technologien Produkte für den Massenmarkt entstehen.
Anja Holtschneider, Düsseldorf
Quelle Handelsblatt print: Heft 161/2022 vom 22.08.2022, S. 24
Dokumentnummer: 31326BD2-9FC3-4367-907C-F8108A80E92C
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Über PAPACKS®
PAPACKS® ist Europas innovativster Produzent für plastikfreie und nachhaltige Verpackungslösungen aus schnell nachwachsenden Rohstoffen zur Vermeidung von Einwegplastik.
PAPACKS® bietet ein einzigartiges Produkt- und Lösungsportfolio, welches seinen Kunden den Übergang zu nachhaltigen Verpackungen ermöglicht. Hierdurch können Unternehmen die Verantwortung für ihre Verpackungen übernehmen.